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Überlebende litauische Juden haben Feldwebel Schmid als Heiligen bezeichnet. Grund genug vielleicht, sich zu fragen, wer dieser Anton Schmid eigentlich war. Am Ende seines kurzen Lebens jedenfalls für die einen so etwas wie ein Held, für die anderen nichts als ein Verräter. "Was die Reaktion unserer Familie und des Umfeldes in dieser Zeit anlangt, kann ich Ihnen sagen, dass die Familie natürlich mit gemischten Gefühlen reagiert hat. Sicher war sie einerseits stolz, andererseits wäre es ihr natürlich lieber gewesen, er wäre ein ganz normaler Soldat gewesen und wieder nach Hause gekommen. Aus dem Umfeld gab es einige positive, aber auch genug negative Reaktionen", erinnert sich Schmids Tochter Gertrude, die zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung 21 Jahre alt ist, Jahrzehnte später. Was war vor dem NS-Militärjustizmord an Anton Schmid, vor seinem gewaltsamen, schandhaften Ende im Hof des Wilnaer Wehrmachtsgefängnisses Stefanska? Dieses Buch versucht sich jedenfalls daran, die Geschichte des Feldwebels zu erzählen, so genau, so wahrhaft es die Quellen, die Akten und Berichte nur zulassen.
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Die erste Nachricht des gerade eingezogenen Wehrmachtssoldaten Anton Schmid war eine Postkarte aus Linz vom 26. August 1939. In seinem Quartier angekommen, reichte es für eine kurze Standortbeschreibung und herzliche Grüße an seine Ehefrau Stefanie und seine Tochter Gertrude.
Nach Beginn des zweiten Weltkrieges folgen weitere Nachrichten, Ansichtskarten und Feldpostkarten aus Nový Bohumín/Neu Oderberg und Jaroslaw, die er während des Polenfeldzugs geschrieben hatte. Damals ahnte er nicht im Entferntesten, was ihn in Polen und insbesondere in Litauen noch erwarten sollte.
Es gibt auch eine letzte Nachricht des Feldwebels, übersandt von einem katholischen Kriegspfarrer, der ihm in seinen letzten Stunden Beistand leistete. In seinem am 15. April 1942 geschriebenen Begleitschreiben erfüllte der Geistliche seine traurige Pflicht, Anton Schmids Frau von der Hinrichtung ihres Mannes am 13. April 1942 in Kenntnis zu setzen.
Der beigelegte Brief enthält Anton Schmids letzte persönliche Zeilen an seine "liebe Stefi", am Tag seiner Exekution verfasst. "Deiner denkend in Freud und Leid theile ich dir, mein Alles, mit, daß heute mein Urteil geflossen ist und ich von dieser Welt scheiden muß. Bin zum Tode verurteilt worden..."
Manfred Wieninger nennt die Zeilen einen "wahrhaftigen Brief" und stellt die berechtigte Mutmaßung auf, Anton Schmid sei der einzige von gut 18 Millionen Wehrmachtsoldaten gewesen, den die deutsche Militärjustiz wegen Rettung von Juden zum Tode verurteilte.
Weit und beschwerlich war die Reise nach Wilna und irgendwie muss es Anton Schmid geschafft haben, in den Rang eines Feldwebels aufzusteigen. Die einzelnen Stationen sind nach den Kriegswirren nicht mehr lückenlos nachzuweisen. 1941 begann die systematische Ermordung litauischer Juden und die Verbringung überlebender in das kleine und große Ghetto in Wilna. Fast 40.000 Menschen wurden auf engstem Raum zusammengepfercht.
Anton Schmid leitete als selbstständiger Dienststellenleiter die Versprengten-Sammelstelle der Wehrmacht in Wilna (dem heutigen Vilnius). Neben seinen Aufgaben, beispielsweise die Rückführung den von ihren Einheiten getrennten Soldaten betreffend, standen auch jüdische und polnische Zwangsarbeiter unter seiner Aufsicht. Mit selbstausgestellten Marschbefehlen begann er, jüdische Familien in einem Lastwagen in die 110 Kilometer entfernte, weißrussische Stadt Lida zu bringen. Leider ohne nachhaltigen Erfolg ...
In Zusammenarbeit mit dem jüdischen Widerstand brachte er in mindestens sieben Rettungstransporten jeweils 25 Juden vom Todeslager in Wilna in das Ghetto der 220 km entfernten polnischen Stadt Bialystok, wo in kriegswichtigen Betrieben Arbeitskräfte gesucht wurden. In der zweiten Januarhälfte 1942 kehrte er von einem weiteren Transport nicht mehr zurück. Anton Schmid wurde verhaftet.
Das Feldgericht der Wehrmachtsfeldkommandantur 814 (V) verurteilte ihn am 25. Februar 1942 zum Tode. Zur Last legte man ihm die Rettung von fast 300 jüdischen Ghettogefangenen.
Die erstmals veröffentlichten privaten Briefe, Dokumente und Fotos von Anton Schmid dokumentieren einmal mehr, und mit einer ebenso nüchternen wie gnadenlosen Wucht, die ungeheuren Greueltaten an Frauen, Kindern und Männern jüdischen Glaubens. Eine sprachlose Wut und Fassungslosigkeit, aber auch eine uferlose Traurigkeit, lösen sie aus. Immerhin hinterlassen die Zeilen und Taten von Anton Schmid so etwas wie ein kleines Licht in endloser Dunkelheit.
Über die Form des Buches könnte man sich eventuell unterhalten. Ein "Roman in Dokumenten" ist sicher die angenehmere Form und Formulierung, als ein unkommentiertes pures Sammelsurium von Postkarten, Briefen, Zitaten und Bildern, wobei in jedem Fall durch ein Inhaltsverzeichnis vielleicht etwas mehr an (Zu-)Ordnung und Übersicht entstanden wäre, was nicht zuletzt auch die Suche nach bestimmten Textstellen erleichtert hätte. Andererseits wäre ein solches Verzeichnis der angedachten dokumentarischen Romanform wohl entgegengetreten.
Eine weitere Bewertung des Buches ist mir nicht möglich und steht mir auch nicht zu. Ein vernünftiges Fazit zu ziehen fällt mir deshalb schwer. Vielleicht liegt es in den letzten Zeilen Anton Schmids, die mich zutiefst bewegt haben, verborgen. Im letzten Brief bittet er seine Frau um Verzeihung. Nie wollte er ihr solche Schmerzen bereiten. Sie soll ihn und den Schmerz einfach vergessen, denn das Schicksal hätte es so bestimmt. "Vergeßt mich. Es wollte eben so sein."
Es mag eine Ironie des Schicksals sein, denn genau dies wird nicht passieren, zumal überlebende litauische Juden Feldwebel Anton Schmid als Heiligen bezeichnet haben. Zudem wurde er von der israelischen Holocaust-Erinnerungs- und Forschungsstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet.
Das Buch von Manfred Wieninger wird ihm ein zusätzliches Denkmal setzen. Darüber hinaus macht sich diese Veröffentlichung verdient, indem sie Menschen, wie mich, die diesen mutigen und wahrhaft selbstlosen Menschen bis heute gar nicht gekannt haben, überhaupt erst einmal mit ihm bekannt machen.
Das Entsetzliche ist geschehen - aus und vorbei. Dennoch darf die Erinnerung und die Aufarbeitung niemals enden. Meine Hochachtung gilt jedem, der sich an dieser mühsamen Arbeit beteiligt und das hinterlassene Scherbengebirge nach Lebensspuren untersucht, auch wenn er vielleicht nur die "Banalität des Guten" finden mag.
von Thomas Lawall
Dr. Ingvar Henry Lotts
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